
Durch das Max-Born-Gymnasium wehte ein Hauch von Europa, denn die Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen hatten mit René Repasi (SPD) einen echten Europaabgeordneten zu Gast, der als MdEP normalerweise zwischen Straßburg und Brüssel unterwegs ist. Unter Anleitung ihres Gemeinschaftskundelehrers Canel Kaya hatten die Jugendlichen sich zuvor viele interessante Fragen überlegt, die von Lilly, Lisa, Julia (10a) und Alma (9a) abwechselnd in einem Podiumsgespräch vorgetragen wurden und die René Repasi in den 90 Minuten bereitwillig und anschaulich beantwortete.
Zunächst stellte er sich und seine Wurzeln vor, sein Vater ist Ungar, seine Mutter Deutsche, er kommt aus Karlsruhe, ist mit einer Polin verheiratet und lebt mit seiner Familie in den Niederlanden - woran man schon erkennen könne, dass er überzeugter Europäer sei, wie er mit einem Augenzwinkern bemerkte. Als studierter Jurist und Professor für Europarecht in Rotterdam arbeitet er im Europäischen Parlament in den Ausschüssen Binnenmarkt und Verbraucherschutz, wo man sich um die Regulierung von Digitalmärkten kümmert, im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, wo es um Wettbewerbs- und Bankenregulierung geht, und im Rechtsausschuss, in welchem zuletzt das neue europäische Lieferkettengesetz entwickelt wurde.
In drei Frageblöcken ging es zunächst um seine Arbeit im Europaparlament, dann um Fragen zu Sachthemen der EU-Politik und zuletzt gab es eine offene Fragerunde für alle.
In Bezug auf seine Arbeit im Europaparlament interessierte die Jugendlichen, wie man digitale Großkonzerne wie Facebook, Google oder TikTok überhaupt regulieren könne. Repasi erläuterte, dass dies nur über eine strenge Einhaltung der Datenschutzrichtlinien mit hohen Strafen oder der Androhung von Sanktionen möglich sei, notfalls auch durch Rufschädigung in Form von Aufklärung über deren Tun. Europaabgeordnete selbst dürften z.B. kein TikTok auf ihren Handys installiert haben, wegen der Abhörfunktion.
Ferner wollten die Schülerinnen wissen, in welcher Form und inwieweit sich Abgeordnete von Lobbyisten beeinflussen ließen und ob mehr Transparenz ein wirksames Mittel gegen Lobbyismus sei. Dies bejahte Herr Respasi und erklärte, dass sich Lobbyisten in ein öffentlich einsehbares Transparenzregister eintragen und die Abgeordneten darlegen müssten, mit wem sie sich getroffen hätten. Er gab jedoch zu, dass dieses System Lücken habe, so würden Staaten beispielsweise nicht unter diese Regelung fallen, und auch Abgeordnete, die nicht an Gesetzgebungen beteiligt seien, unterlägen nicht der Transparenzpflicht, ebenso ihre Mitarbeiter. Letztlich müsse jeder selbst kritisch reflektieren, wer welche Interessen verfolge, denn oftmals finde der Einfluss sehr subtil statt, nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“ – dies gelte ebenso für Wirtschaftsverbände wie für die Gewerkschaften. Er selbst bevorzuge es, die Firmen „vor Ort“ zu befragen, wo der Schuh drückt.
Bei den Sachthemen der EU-Politik wurde René Repasi unter anderem gefragt, wie er einen „fairen“ Binnenmarkt definiere und wie dieser zu erreichen sei. Er führte zunächst aus, dass dieser Binnenmarkt weltweit einzigartig sei und die Länder viel dafür hätten aufgeben müssen, dass es aber funktioniere, weil ein Abbau von Barrieren und eine stärkere wirtschaftliche Verflechtung die Menschen näher zusammengebrachte habe. Diese Aufgabe von „Schutzmechanismen“ einzelner Länder mache jedoch eine Regulierung des Marktes notwendig, zum Beispiel in Form von Verbraucherschutz, Mindestlöhnen und Umweltstandards, damit nicht nur die „Eliten“ profitieren würden – nach dem Motto „Gemeinsam ist man stark“ – aber für alle Menschen.
Auf die Frage, wie lange die Wirtschaft noch weiter wachsen könne, antwortete er, dass es im Angesicht des Klimaproblems vor allem darum gehen müsse, umweltschädigendes Wachstum „herunterzufahren“, und umweltneutrales Wachstum zu fördern, z.B. indem man den schädigenden Anteil des Wachstums (wie den CO²-Ausstoß in Form von Zertifikaten) so lange verteuere, bis er unattraktiv werde. Das Problem sei, dass es diese Gesetze außerhalb von Europa nicht gebe, weswegen ein CO²-Außengrenzzoll eingeführt werde (tritt im Oktober in Kraft).
Auch ob die EU noch erweitert werden könne, wollten die Jugendlichen wissen. Repasi meinte „Sollte ja, kann nein“. Die Ukraine sollte nicht anderen Staaten vorgezogen werden, die schon länger darauf warteten, er sagte: „Wir verlieren im Balkan, was wir in der Ukraine gewinnen.“ Auch sei die Außen- und Sicherheitspolitik schon jetzt sehr schwierig, mit dann 35 Staaten nahezu unmöglich. Die EU müsse erst für eine Erweiterung „fit“ gemacht werden, indem zunächst das Einstimmigkeitsprinzip abgeschafft werden müsse, anschließend müssten Balkan und Ukraine auch noch wirtschaftlich den Anforderungen entsprechen.
Zuletzt hatten die Schülerinnen und Schüler noch Fragen in Bezug auf ihre Altersgruppe, z.B. wie das Europäische Parlament mit einem Durchschnittsalter von 49 Jahren die Interessen von Jugendlichen vertreten wolle und wie man Jugendliche in europäische Beschlüsse mehr einbeziehen könne. Der SPD-Abgeordnete erläuterte, dass seiner Meinung nach die Zukunftsinteressen junger Menschen gerade im Europäischen Parlament gut vertreten würden, da diese Institution über nationalen Interessen (z.B. dem Einfluss der Automobilindustrie in Deutschland) stünde und daher übergeordnete Interessen wie die nachhaltige Entwicklung in Europa besser durchsetzen könne als nationale Parlamente. Als Beteiligungsmöglichkeit verwies er auf die Senkung des Wahlalters und mahnte mit Blick auf den Brexit, dass Jugendliche diese Chance aber auch nutzen müssten. Des Weiteren gebe es auch noch die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens – was jedoch erst ein Mal, bei der Privatisierung von Wasser, funktioniert habe – und das europäische Jugendparlament.
In der offenen Fragerunde wurden Fragen nach dem Projekt „Neue Seidenstraße“, nach dem Konsumentenschutz bei zunehmend bargeldlosem Zahlungsverkehr und zum diplomatischen Umgang mit Ländern wie China, Katar oder Israel gestellt, bzw. wie eine „De-Risking“-Politik seiner Meinung nach aussehen sollte.
In Bezug auf die „Neue Seidenstraße“ gab Repasi zu, dass Europa seiner Meinung nach noch keine adäquate Antwort gefunden habe und immer noch „postkoloniale Arroganz“ in Form von Auflagen bei der Projektvergabe walten lasse, weswegen es schon „10 zu 0“ stehe und „das Spiel ist bereits in den letzten 10 Minuten.“
Auf die Frage nach dem Konsumentenschutz beim bargeldlosen Zahlungsverkehr sagte er zunächst „das Instrument an sich ist nicht schlecht“ und Privacy sei möglich, wie man am Bitcoin sehen könne. Er führte dann aus, dass seiner Ansicht nach nur die EZB den digitalen Euro ausgeben dürfe, da sie vertrauenswürdig sei – Privatbanken brauche es dazu dann nicht mehr.
Zuletzt erläuterte Repasi noch, dass der Umgang mit Ländern wie China oder Katar zwar eine „kritische Sprache“, aber dennoch Handelsbeziehungen erfordere. Sein Ansatz sei, dass der Kritiker mehr Einfluss habe, wenn er direkt mit den Leuten spreche, und die EU zwischen Kritik und Öffnung ein Gleichgewicht finden müsse. Letztlich sei jedoch eine Diversifizierung der Handelspartner und eine strategische Autonomie in sensiblen Bereichen die langfristige Strategie. Das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit und das Lieferkettengesetz führten ja bereits zu einer Abkopplung von solchen Märkten und damit auch zu „De-Risking“.
Viel zu schnell war die Zeit vorbei, die Zuhörerinnen und Zuhörer hätten gerne noch mehr Fragen gestellt, aber durch seine anschauliche und schülergerechte Darstellung ist es René Repasi auch in den 90 Minuten hervorragend gelungen, den Jugendlichen seine Arbeit anschaulich zu vermitteln und Politik „begreifbar“ zu machen. „Mit“ einem echten Politiker aus dem fernen und doch etwas abstrakten Europaparlament sprechen zu können, ist doch etwas anderes, als im Unterricht „darüber“ zu sprechen!
Die Schülerinnen äußerten sich auch durchweg positiv: „Es war ein guter Einblick in die europäische Politik“, „Es war interessant, seine Meinung zu europapolitischen Themen zu hören“ oder auch „Ich fand es interessant, dass Abgeordnete kein TikTok haben.“ Sehr gelobt wurde auch die verständliche Erklärweise des Abgeordneten und alle fanden es schade, dass nicht noch mehr Zeit für Fragen am Ende blieb. Ein großer Dank geht an Canel Kaya, der diesen Besuch organisiert hat, und die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10a, die sich im Vorfeld und als Moderatorinnen so intensiv eingearbeitet und recherchiert hatten, so dass es eine rundum gelungene und interessante Veranstaltung geworden ist!